„Wer Profitiert hier eigentlich?“ – Wir haben es satt! am 18. Januar. Kommt alle dazu!

© Kinga Treder

Im Großen bringt in Berlin die „Wir haben es satt“-Demo seit über 10 Jahren Bauern Bäuerinnen, Umwelt- und Tierschützer:innen, Eine-Welt-Aktivist:innen und Verbraucher:innen zusammen in einem Bündnis, dass gute Lebensmittelerzeugung für Alle zum Thema macht. Für eine andere Agrarpolitik treffen sich auch dies Jahr am 18. Januar Menschen in Berlin, die sich sonst nicht unbedingt begegnen würden. Sie stellen sich unter dem gemeinsamen Motto: „Wer Profitiert hier eigentlich?“ gegen die einseitigen Profit-Interessen großer Konzerne und ihrer Verbandsvertreter:innen.

Autorin: Claudia Schievelbein

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Es ist ein besonderer Ort, nicht nur wegen des bald hundert Jahren allen blauen Bauernhauses aus Holz © Ann Marie Weber

Ende November liegt wenig Licht über den Weichsel-Auen in Masowien mitten in Polen. Das flache Land, die wenigen knorrigen Bäume, am breiten Fluss die sich biegenden Weiden, in denen fast immer Nebelfetzen hängen – fast mystisch mutet die dünn besiedelte Gegend rund um den einzeln liegenden Hof von Ewa und Peter Stratenwerth in Grzybów an.

Es ist ein besonderer Ort, nicht nur wegen des bald hundert Jahren allen blauen Bauernhauses aus Holz oder weil kurz vor der frühen Dämmerung riesige Formationen aus Kranichen so flach über den Himmel ziehen, dass die Vögel groß wie Fabeldrachen aus längst vergessenen Zeiten wirken. Der Hof ist besonders, weil er nicht nur ein Biobauernhof ist, den zwei engagierte Menschen aufgebaut haben mit Kühen und Ziegen, einer Käserei, einer Bäckerei und einem gut sortierten Hofladen. Sie haben auch eine Seminar- und Begegnungsstätte im ländlichen Raum auf die Beine gestellt, orientieren sich an dem dänischen Pastor und Politiker Nikolai Frederik Severin Grundtvig, der im 19. Jahrhundert mit Landvolkshochschulen Gemeinsinn und gesellschaftliches Engagement durch Bildung in die ländlichen Räume bringen wollte.

Auf dem Hof in Grzybów finden agrarökologische Kurse im Rahmen der landwirtschaftlichen Ausbildung statt, lernen jedes Jahr tausende Schulkinder etwas über Landwirtschaft und Natur und finden Veranstaltungen, wie die von ARC2020 im November 2024 statt. Es war das dritte Treffen einer Reihe, die in Plessé in der Loire-Atlantique mit der Frage nach mehr demokratischer Mitbestimmung in kommunalen Strukturen ihren Anfang nahm und dann 2023 im hessischen Marburg Beispiele lebendiger und sehr praktischer Lebens- und Handelbeziehungen zwischen der Stadt und dem umliegenden Land vorstellte.

Zum Teil treffen und trafen sich Menschen aus den vorherigen Veranstaltungen, zum Teil kamen in Polen neue dazu, um nach Gemeinsamkeiten aber auch trennendem im ländlichen Raum zu suchen und Wege des zusammenbringens zu entwickeln.

Claudia Schievelbein in Grzybów © Adèle Violette

Transformationssmüdigkeit

Auch in Polen haben vor einem Jahr viele Bauern und Bäuerinnen mit ihren Treckern auf den Straßen demonstriert. Auch hier fühlen sich viele erdrückt von immer neuen bürokratischen Hürden aus Brüssel und durch schlechte Preise für ihre Produkte wie auch durch bspw. günstige Getreideimporte aus der Ukraine. Eine Stimmung der Abschottung und das Gefühl, von den Menschen in der Stadt nicht verstanden zu werden, lässt in Polen wie auch fast überall sonst in Europa den Zulauf zu Nationalisten, Populisten und Protektionisten größer werden. Die Illusion, politisch und damit auch im Leben und auf den Höfen könne alles so weitergehen wie bisher oder besser noch, es könne wieder so sein wie in den friedlichen und fetteren Zeiten nach dem Ende des eisernen Vorhangs lässt sich eben gut verkaufen.

Eine Transformationssmüdigkeit hat besonders die Landwirtschaft erfasst, die in der modernen Gesellschaft im Hinblick auf Beschäftigungszahlen eine immer kleinere Rolle spielt und von der – sehr stark in den 2010er Jahren – eine Transformation hin zu mehr Klima- und Tierschutz erwartet wurde und wird. Zum Teil wurden fast unerreichbare Erwartungen formuliert, hinzu kommt, dass der ja sehr wohl stattfindende Klimawandel die Bauern und Bäuerinnen in ihrer täglichen Arbeit herausfordert mit Trockenheiten und/oder Wassermassen zu Unzeiten. Da hinein entstand auf den Treckerdemos ein nicht mehr gekanntes Gemeinschaftsgefühl unter endlich einmal Gleichgesinnten, so beschrieb es ein Bauer in Grzybów sehr eindrücklich, bei den Protesten mit anderen Bauern und Bäuerinnen.

Veranstaltung in Grzybów im November 2024 © Kinga Treder

Um nach Gemeinsamkeiten

Vielleicht ist das im dünn besiedelten Polen noch deutlicher als in Deutschland. Es ist – das wurde auch auf dieser, einer Veranstaltung, die ausdrücklich Brücken bauen, Gemeinsamkeiten hervorheben wollte, deutlich – nicht so einfach, Menschen aus ihren Wagenburgen und Blasen zu holen. Es muss zumindest die Bereitschaft des gemeinsamen Gesprächs vorhanden sein. Dass gemeinsames Singen und Tanzen, zur Verständigung beiträgt, ist aber auch etwas, was die Teilnehmer:innen der Veranstaltung in Grzybów erleben konnten.

Und immer wieder wurde deutlich: es geht darum, in Austausch zu kommen, Gemeinsamkeiten zu sehen und sie voran zu bringen: die Idee eines bäuerlichen Erasmus-Programms wurde geboren, aber auch Lebensmittel-Direktverkaufsverbindungen für Menschen in der Stadt mit wenig Geld, Ideen zu anderer Nachbarschaftshilfe, Zusammenschlüsse vor Ort, um politisch mit mehr Gewicht zu sprechen.

Adam Struzik, politischer Gast an einem Abend der Veranstaltung und Marschall der Woiwodschaft Masowien sowie Mitglied des EU-Ausschusses der Regionen betonte, wieviel Gutes die Einbindung Polens in die Europäische Union gerade auch im ländlichen Raum bedeutet. Er versprach die Vorschläge aus der Versammlung und auch noch mehr Repräsentanz der Menschen auf dem Land nach Brüssel in den Rat der Regionen zu tragen. Das Land in die Stadt zu bringen, dazu gibt es viele Möglichkeiten.

„Wir haben es satt!“-Demo am 20.01.24 für eine gentechnikfreie, bäuerliche und umweltverträgliche Landwirtschaft! Zur kostenfreien Nutzung gegen Angabe von Moritz Richter   © Wir haben es satt!

„Wer Profitiert hier eigentlich?“

Im kleinen brachte Peter Stratenwerth Anfang der 1990er Jahre nach dem er aus der Schweiz hierher gekommen war, seine auf dem Hof erzeugten Produkte zur Vermarktung in den Bio-Laden in die Stadt, lernte dabei seine spätere Frau Ewa kennen und beide bringen nun schon seit Jahrzehnten Kinder, Jugendliche und Erwachsene aufs Land. Im Großen bringt in Berlin die „Wir haben es satt“-Demo seit über 10 Jahren Bauern Bäuerinnen, Umwelt- und Tierschützer:innen, Eine-Welt-Aktivist:innen und Verbraucher:innen zusammen in einem Bündnis, dass gute Lebensmittelerzeugung für Alle zum Thema macht.

Für eine andere Agrarpolitik treffen sich auch dies Jahr am 18. Januar Menschen in Berlin, die sich sonst nicht unbedingt begegnen würden. Sie stellen sich unter dem gemeinsamen Motto: „Wer Profitiert hier eigentlich?“ gegen die einseitigen Profit-Interessen großer Konzerne und ihrer Verbandsvertreter:innen. Die Demonstrantinnen fordern faire Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Hof, im Schlachthof, überall in der Welt, faire Preise für Bauern und Bäuerinnen und Verbraucher:innen und den Schutz des Klimas, der Umwelt und der Tiere. Kommt alle dazu!

Informationen über die Wir haben es satt!-Demo